Zirkulär, agil und reflektiv

Krisenprävention mit der VKK Crisis Map

Krisen passieren – mal öfters, mal selten und meist unvorbereitet. Das Kredo lautet: einen kühlen Kopf zu bewahren.

 

Gehackte Kundendaten, ein tödlicher Unfall, ein Suizid oder Missbrauchsvorwürfe unter Mitarbeitenden: Krisen sind jederzeit und überall möglich. Erstaunlicherweise findet jedoch in den wenigsten Organisationen eine konsequente und systematische Krisenvorbereitung statt. Diese Ausgangslage nahm der Verband für Krisenkommunikation VKK zum Anlass, die «VKK Crisis Map» zu entwickeln: Sie zeigt ein klares, methodisches Vorgehen, wie sich Organisationen unabhängig von ihrer Art, Größe und Zielsetzungen fit für Krisenprävention und -bewältigung machen können.

Nicht der Wortlaut des Krisenkommunikationskonzepts ist der Schlüssel zum Erfolg. Dieses verstaubt oft in der Schublade, wenn es nicht einen integralen Teil des Krisenmanagements darstellt. Krisenkommunikation beginnt mit der Offizialisierung durch die Führung einer Organisation mit Zuständigkeiten und einem Budget. Sie erfordert die Sensibilisierung aller Mitarbeitenden, die krisenrelevant sein können. Dies sind nicht nur Führungskräfte, sondern auch Mitarbeitende in unterschiedlichen Funktionen, insbesondere auch alle mit Stakeholder-Kontakten.

 

Prävention Schritt für Schritt

Die 6 Phasen der Crisis Map führen in ein zirkuläres Vorgehen ein, denn ohne Bewusstsein, dass eine Krise möglich ist, findet keine ernstzunehmende Vorbereitung statt. Ohne konsequentenLernprozess wird keine agile Handlungsfähigkeit aufgebaut. Die Initiierung der 1. Phase ist entscheidend: Wahrnehmen und Bewusstsein. Die zentrale Frage lautet: Ist eine Krise bei uns denkbar? Durch das Bewusstsein, dass in der eigenen Organisation existenzbedrohende Ereignisse geschehen können, werden Ressourcen mobilisiert, die in den folgenden Phasen notwendig sind. Die 2. Phase: Identifizieren und Priorisieren. Hier gilt es herzuleiten, welche Arten von Krise sich entwickeln und welcher Schaden dabei entstehen kann. Anschließend, in der 3. Phase, heißt es: Beschreiben und Vorbereiten. Durch die Beschreibung, wie solche Ereignisse aussehen und wie sie gehandhabt werden, können die relevanten Szenarien aufbereitet, vertieft und verinnerlicht werden.
Die 4. Phase verfolgt das Ziel, dass Krisen nicht unkontrollierbar werden: Erkennen und Einordnen. Dabei sind folgende Fragen zentral: Wie kann festgestellt werden, dass eine Krise droht? Wie kann einer potenziellen Krise vorgebeugt werden? Wann wird wer auf welche Weise alarmiert? Kommt es zu einer Krise, gilt die 5. Phase: Führen und Abstimmen. Die konsequente Führung nach einfachen Prinzipien ist hier matchentscheidend: Was wissen wir? Welche Ursachen haben die Krise verursacht und diese ausgelöst? Wie führen wir durch die Krise? Wie richten wir den Fokus aus? Wer hat im Krisenmodus welche abschließende Entscheidungsbefugnis? Im Sinne des zirkulären Vorgehens und eines kontinuierlichen Lernprozesses folgt die 6. Phase: Beschreiben und Vorbereiten. Dabei gilt es zu analysieren, was auf welcher Grundlage wie gemacht wurde und ob Folgemaßnahmen erforderlich sind.

Reale und mediale Krisen

Das Vorgehen der VKK Crisis Map gilt gleichermaßen für reale und rein mediale Krisen. Ein tragischer Einzelfall, etwa ein Suizidversuch, stellt für alle direkt und indirekt Beteiligten eine schwere Krise dar. Die Betroffenen brauchen Schutz vor der Öffentlichkeit, damit keine Überlagerung der realen Krise durch eine mediale entsteht. Ähnliches gilt bei einem realen Missbrauch, denn eine Medienkampagne kann zu einer zweiten Traumatisierung des Opfers führen. Unzutreffende Missbrauchsvorwürfe, die von Medien aufgenommen werden, können ohne reale Basis zu einer schweren Krise führen, da die vermeintliche Täterschaft unvorbereitet getroffen wird. Wer mit falschen Vorwürfen konfrontiert wird, tritt oft weniger überzeugend auf als jemand, der mit diesen Vorwürfen gerechnet hat. Wer jedoch grundsätzlich auf Krisen vorbereitet ist, reagiert auf Fakes abwartender, ruhiger, analytischer – und dadurch meist erfolgreicher. Keine Strategie kann Erfolg garantieren. Keine noch so gute Kommunikation kann reales Fehlverhalten wegkommunizieren, denn auch reale Taten sind Teil der Kommunikation. Hingegen kann eine gute Vorbereitung Risiken reduzieren und die Bereitschaft erhöhen, aus groben Fehlern persönlich die Konsequenzen zu ziehen.

Corona-Pandemie als Beispiel

Die Corona-Pandemie ist ein reales Problem, das die Regierungen unverschuldet traf. Dies bedeutet, dass sie mit einer Krise konfrontiert sind, die sie nicht erwarten konnten, auf die sie dennoch vorbereitet sein mussten. Die Phasen 1–3 der Crisis Map haben die Schweizer Behörden zufriedenstellend gemeistert. Auf allen Ebenen – Bund, Kantone und Gemeinden – bestehen Krisenorganisationen, nicht nur Armee und Zivilschutz, sondern auch stufenübergreifende zivile Führungsstäbe.

In Phase 4 wird es kritischer. Ein neues, hoch ansteckendes Coronavirus befand sich nicht in der Planung. Auch Masken und Schutzanzüge fehlten. Maßnahmen für den Pandemiefall wie Quarantäne und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit waren nur teilweise vorbereitet.
Phase 5 begann im Februar 2020 und ist noch nicht abgeschlossen. Anfangs zeigte sich, dass angesichts der globalen Unsicherheit über die richtigen Maßnahmen und der weit verbreiteten Angst vor dem Virus die Vermittlung der Maßnahmen wichtiger sein kann als die Maßnahme selbst. Die Empfehlung, ohne Symptome keine Maske zu tragen, erwies sich im Nachhinein zwar als problematisch, war jedoch Teil einer zu Beginn überzeugenden Kommunikation des Bundes. Daniel Koch, der personifizierte «Mr. Corona» verstand es, die Bevölkerung weitgehend geschlossen hinter sich zu scharen. Im ersten Abschnitt der Krise vermittelte er «Führen» im Sinn von Phase 5.

Nach Kochs Pensionierung trat kein adäquater Ersatz an seine Stelle. Die erste Subkrise war beendet. Von einer Phase 6 war indes nichts erkennbar. Die zweite Subkrise folgte nahtlos von Sommer bis Herbst 2020. Die Krisenkommunikation befand sich wieder in Phase 5. Verschiedene Gremien überforderten die Bevölkerung mit Teilinformationen und moralischen Aufrufen, die teilweise als Panikmache empfunden wurden. Die meisten Medien nahmen an einer Durchhaltekampagne teil, die sich im Rückblick als kontraproduktiv erwies. «Führen und Abstimmen» war nicht erkennbar. Eine Phase 6 fehlte.

Von Dezember 2020 bis Februar 2021 führte der Bundesrat in der dritten Subkrise, erneut in Phase 5, einen Kleinkrieg gegen Kantonsregierungen um irrelevante Details, namentlich die Öffnung der Terrassen in Skigebieten. Dort, wo dieser Kampf am heftigsten geführt wurde, ist heute die Impfrate am niedrigsten: Der Kampf um Details kann auf lange Sicht den Blick auf relevante Punkte verstellen. Erneut fehlte jede Spur von «Führen und Abstimmen.»

«Keine noch so gute Kommunikation kann reales Fehlverhalten wegkommunizieren.»

Eine Analysephase 6 war erstmals in der Corona-Krise erkennbar: Der Kurswechsel des Bundesrats im März eröffnete die nächste Subkrise, die geprägt war von einer liberaleren Strategie und einer verstärkten Zusammenarbeit mit den Kantonen. Dies war offenbar die Folge der Evaluation der Verhärtung in den Wintermonaten mit der Folge, dass «Führen und Abstimmen» nach rund zehn Monaten erstmals wieder erkennbar waren. Mit Blick auf eine nächste Pandemie ist eine vertiefte Phase 6 der Gesamtkrise mit einer interdisziplinären Aufarbeitung der Corona-Pandemie unabdingbar.

 

Januar 2022
Autoren: Bettina Freihofer, Bernhard Schneider
Bildquelle: VKK Crisis Map

 

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OrganisationEntwicklung Nr. 1 | 2022